“My 2 Komma 5 Minutes of Fame”

tel-avivEine ungewöhnliche Biografie: Kindheit in Israel, als 14-Jähriger nach Deutschland und ausgerechnet ins ostdeutsche NPD-Kaff Laucha umgezogen, spätere Irrungen & Wirrungen in Berlin und anderswo, 2015 von einer Horde junger Männer nach antisemitischen Ausfällen in der Berliner U-Bahn verprügelt. Und plötzlich im Rampenlicht der Medienindustrie. Also muss man ein Buch schreiben. Noch eins, damit die Buchhandlungen etwas zum Hinlegen haben.

Und da lag es dann. In einer jener Buchhandlungen, die ich nicht nur bei plötzlichen Regenfällen betrete. Und vom Cover her blickte mich grimmig ein junger Mann an. Mit Kippa, Schlips und Currywurst in einem skurrilen Imbiss-Setting zu Tisch mit Bierhumpen und israelischer neben deutscher Fahne. Die irgendwie schmuddelige Szenerie zog mich seltsam an und schon hatte ich das Buch in der Hand. Es lockte den Leser mit dem vielfach erprobten biografischen Cocktail aus Juden und Nazis, Gut und Böse, Grips und Gewalt. Sonst denke ich immer Nein, bitte nicht! – aber es war Samstag und im steten Bemühen, meiner Buchhandlung etwas Gutes zu tun, verließ ich sie mit noch einem Impuls-Buch im Gepäck.

Also las ich…

Shahak Shapira: Das wird man ja wohl noch schreiben dürfen! Wie ich der deutscheste Jude der Welt wurde. Der erste Eindruck: Ganz schön imperiale Ambitionen für einen so jungen Mann!

Das Buch beginnt wie jeder mittelmäßige “Tatort” mit einem Gewaltverbrechen, denn so kommt Spannung auf: Der Überfall im U-Bahnhof in einer Silvesternacht! Nach vollendeter Tat wird der Leser zusammen mit dem krankenhausreifen Shahak hilflos auf dem Bahnsteig liegengelassen.

Das große Aufrollen beginnt: Wir springen viele Jahre in die Vergangenheit zurück, von rauer Großstadt ins hübsche burgenländische Provinznest, um verstehen zu lernen, wie es zu diesem Akt der Gewalt kommen konnte. Und wir lesen über Shahaks Deutschwerdung. Sie nimmt ihren Anfang in Laucha, eines der vielen Jurassic Parks im Osten, bevölkert von ranzigen Gesinnungssauriern aus Zeiten, in denen ein größenwahnsinnig gewordenes Deutschtum die Welt in Schutt und Asche legte und Menschen wie Shahak ins Jenseits beförderte. Daran jedoch hat die Lauchaer Spezies keinerlei Erinnerung mehr. Für sie war, ist und wird alles immer groß und deutsch. So sind Saurier. Und in Laucha geistern sie herum, die Möchtegern-Hitler verkleidet als Schornsteinfeger, Fußballtrainer oder gewöhnliche Hartz-IV-Empfänger. Und wenn ein “Judenschwein” von ihnen eins auf die Fresse kriegt, dann ist es eben selber schuld, weil es ganz gewiss mit Drogen geschachert hat.

Die überwiegend unschuldig-naive Schilderung der Gymnasialzeit in Laucha (Fußball, Deutschunterricht, Mädchen und noch viel schlimmere pubertäre Unbilden) zeigt eine idyllische ostdeutsche Provinz im Lichte einer Art NPD-Erlebnispark mit Geisterbahn, Fußballplatz, Saufgelagen und Naziledern, wo stets eine unheilverkündende Stimmung wie unter dem Absingen von “Tomorrow belongs to me” im Film “Cabaret” mitschwingt. Eingeflochten in den Laucha-Schilderungen sind die Lebensgeschichten von Shahaks Großvätern: der eine mit Mühe und Not dem Holocaust entkommen, der andere als israelischer Trainer bei der Olympiade 1972 in München von palästinensischen Terroristen erschossen. Durch diese Geschichten wird Laucha als Ort des Nicht-Erinnerns richtig unheimlich. Dem Autor geht es bei zunehmendem Begreifen seiner Umgebung offenbar nicht anders: Laucha ist einfach uncool. Nach dem Abitur geht es also folgerichtig nach Berlin.

Die Berliner Zeit wird geschildert als ein chaotisches Sammelsurium vom Drunter und Drüber eines jungen Mannes in einer großen Stadt. Das heißt: sexueller Notstand und zugemüllte Wohnung. Ich frage mich, warum das für den Leser interessant sein sollte? Ich finde es eher langweilig. Man ahnt, dass der Verlag Füllstoff forderte, der das angedachte “Buch” zum Buch machen sollte: Schreiben Sie doch noch ein nettes Kapitel über Ihre Zeit in Berlin!

Zum Glück gibt’s zum Ende wieder Spannung, ein echtes antisemitisches Highlight, auf das alle nur gewartet haben: Shahak tritt dem 1. FC Wilmersdorf bei, einem Fußballverein, wird von einem der überwiegend arabisch- und türkischstämmigen Spieler gewalttätig angegriffen, als Judenschwein beschimpft und schließlich wegen “Provokationen” vom Trainer aus dem Verein geworfen. Bingo. Gewalt macht sich dramaturgisch immer gut und so gelangen wir schließlich zurück zum U-Bahn-Überfall in der Silvesternacht, in der es inzwischen dreizehn schlägt: “Seit dreizehn Jahren wohne ich in Deutschland. In diesen dreizehn Jahren musste ich viel hinnehmen: Beleidigungen, Drohungen, Schläge – nur weil ich ein Jude bin. Das hört heute auf. Den Scheiß lass ich mir keine Minute länger gefallen.” Und so nimmt die finale Keilerei ihren Lauf. Zu guter Letzt gibt es dann noch die übliche Zugabe im Gericht, wo alles ins Lot gebracht wird (oder auch nicht): “Ich weigere mich, in der Angst zu leben, die meinen Großvater bis ans Ende seines Lebens begleitete. Ich weigere mich, nach Israel zurückzukehren, um mich sicher zu fühlen, denn ich möchte mich an jedem Fleck dieser Erde sicher fühlen. Selbst in der leeren Gaskammer von Treblinka, in der so viele aus meiner Familie vor 75 Jahren ihre letzten Atemzüge taten, möchte ich ohne Angst aufgrund meiner Herkunft stehen. Sonst haben sie gewonnen.” – Na gut, nicht der Schlusssatz zwar, trifft aber die Stimmung beim Abspann ziemlich genau.

Hat’s mir gefallen?

Ich weiß es nicht. Die Sollbruchstelle dieses Buches ist, dass es ein mediales Ereignis auszuschlachten versucht: Ein Israeli wird in der Berliner U-Bahn verprügelt? Aha, ein Opfer in der Stadt der Täter, wow! Der Israeli ist in finsterster ostdeutscher Provinz großgeworden? Aha, ein Opfer im Land der Nazis, wow! Diese Story lässt sich verkaufen! Das Problem ist allerdings, das sie unmittelbar nur zum Zeitungsartikel taugt entsprechend der Kapitelüberschrift “My 2 Komma 5 Minutes of Fame”. Um daraus ein Buch zu basteln, wird über weite Strecken – gestreckt. Mit unterhaltsamen Dialogen zwischen Gott und Abraham und Gott nochmal und seinem Moses mit der schönen Handschrift. Mit einem langen, echt ethnischen Lied – Havenu Shalom Alechem – so richtig zum Mitschmettern. Mit durchaus gelungenen Zeichnungen des Autors. Mit belanglosen Details über des Autors Tun und Lassen in Berlin, Stockholm und São Paolo. Dabei beschlich mich immer wieder dieses Gefühl, dass der Autor widerstrebend versucht hat, die Forderungen eines Verlagslektors zu erfüllen: Wir brauchen noch ein Kapitel über jüdische Traditionen, über Ihre Großväter, über das Medienecho in Israel, über über über. Und so wirkt das Buch unharmonisch fremdgesteuert, irgendwie zu konzipiert. Dabei kann Shahak Shapira wahnsinnig humoristisch schreiben und kennt sich in sämtlichen komischen Ecken der deutschen Sprache bestens aus. Dass er auch auf eigenen Beinen ganz ohne Lektor stehen kann, zeigt nicht zuletzt auch seine Facebook-Seite.

Würde ich’s nochmal lesen?

Nicht wirklich.

Kann ich’s weiterempfehlen?

Ja, aber ich weiß nicht so recht wem. Da das Buch diesen gewollt zusammengewürfelten Eindruck macht, wo ein Autor die unausgegorene Idee eines Verlages irgendwie umzusetzen versucht, bleibt mir die Zielgruppe schleierhaft. Leute aus der ostdeutschen oder sonstiger angebräunter Provinz? Funktioniert nicht. Sind zu wenig Bilder drin. Alte Erinnerungssäcke? Geht auch nicht, denn sie wissen eh schon alles und vor allem besser. Sind auch zu viele Bilder drin. Vielleicht am ehesten junge Leute? Vielleicht ließe es sich im Schulunterricht einsetzen. Vielleicht sollte es sogar. Ob allerdings eine Schlägerei mit antisemitischem Hintergrund in Doku-Selbstbio-Buchform wirklich den stets irgendwie spürbaren pädagogischen (Verlags-)Willen hinter diesem Projekt verschleiern kann? Mag sein. Vielleicht sollte ich ein Empfehlungsexperiment mit einem jungen Menschen meines Vertrauens machen.

Oder kommen doch nur Frauen mit einem Juden-Fetisch als Zielgruppe infrage? So lesen wir über einige von Shahaks Dates: “Einige dieser Frauen hatten einen chronischen Juden-Fetisch, inklusive goldenen Davidsterns im Ausschnitt und Vintage-gefilterten Fotos von der Tel Aviver Strandpromenade im Instagram-Profil. Also genau wie Sie eigentlich. Deswegen halten Sie doch dieses Buch in der Hand.” Der Autor spricht zu mir! Aber er irrt. Denn ich bin meines Wissens weder Frau noch käme mir der Gedanke, Vintage-gefilterte Fotos von der Tel Aviver Strandpromenade ins Netz zu stellen.

Mein Highlight

Es gibt immer wieder bekennende Deutsche, die das Vergessen predigen. Dass man Verbrechen im Namen der deutschen Nation vergessen möge, dass sie quasi verjährten. Das wäre allerdings ein Widerspruch, denn eine Nation beruht auf Gemeinschaft und Gemeinsamkeiten, die im Laufe der Zeit entstanden sind. Nation ohne Geschichte geht folglich nicht. Shahak Shapira: “Muss man die Verantwortung für eine Tat übernehmen, die ein anderer begangen hat? Antwort: Unter Umständen muss man das. Das Wesen eines Staates basiert auf Zusammenhalt, und zwar nicht nur, wenn die Nationalelf den WM-Pokal in der Hand hält.

Der er lukket for kommentarer.

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