Digitale Entrümpelung 2

Das Auslöschen digitaler Zombies auf meinem iPhone geht weiter. Diesmal werden drei Apps ins Jenseits des unermesslichen Cyberspace befördert: Mindfulness Bell, Natural 20 und Tyme. Ihnen gemeinsam ist, dass sie mir mein harmonisches Zeitkontinuum zerstückelten und mir so die Ruhe raubten.

Mindfulness Bell

Habe nun, ach, Geistesmagie, viel Spinnerei und jeden Spleen – und leider auch Psychologie – durchaus studiert, mit heißem Bemühn. Da steh’ ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor!

Nein. Habe ich nicht. Diese Achtsamkeitsklangschale ist nur deshalb auf meinem Smartphone gelandet, weil ich auf der Suche nach einem Timer gewesen war, der in einem vorgegebenen Zeitraum eine bestimmte Anzahl von Alarmen in zufälligen Zeitabständen geben konnte. Und das kann diese App zumindest zum Teil und sogar mit einem sehr wohlklingenden Ton. Und wozu das? Lange hatte ich geglaubt, dass ich unliebsame Aufgaben am leichtesten bewältigen könnte, wenn ich sie mit anderen, weniger unliebsamen Aufgaben vermischen würde. Etwa einmal pro Stunde wechselte ich daher die Arbeitsaufgabe, aber eben nicht genau jede Stunde, denn ich meinte, meinen inneren Schweinehund am besten überlisten zu können, wenn er das Ende der unangenehmen Arbeit gar nicht so genau kannte. Aber ich hatte mich getäuscht.

Das Ergebnis dieser meschuggenen Methode war, dass durchaus konzentrierte Arbeitsphasen immer wieder durch den Gong unterbrochen wurden und das soeben Gedachte in den Keller meines Kopfes verfrachtet werden musste, von wo ein neues Thema zur Bearbeitung heran geschleppt wurde. Lange hatte ich geglaubt, dass ein solches Swapping meiner Produktivität förderlich sein würde. Ich hatte mich geirrt. Ich hätte natürlich gleich auf Größen wie Donald Knuth hören können, aber ich wusste es natürlich besser. Mal abgesehen davon, dass meine Arbeitsziele im Vergleich zu denen großer Geister die Grenze zur Gleichgültigkeit tangieren wenn nicht gar überschreiten. Dennoch sind die Ziele da. Und jetzt, wo der Gong im digitalen Nirvana ist, rücken sie vielleicht auch näher.

Natural 20

Wir bleiben in der Abteilung für selbstverschriebene Quacksalberei. Natural 20 ist ein virtueller Würfel, man glaubt es kaum. Er ist so vielgestaltig, dass er von zwei bis zwanzig Seiten haben kann, je nach Bedarf. Der Würfel war der unberechenbare Geselle der Glocke. Immer wenn diese schlug, wurde jener geworfen. Jedem meiner Projekte war eine Zahl zugeordnet und an dem jeweils gewürfelten Projekt musste ich, ob ich wollte oder nicht (und meistens wollte ich nicht), bis zum nächsten Glockenschlag arbeiten. Das funktionierte natürlich nicht. Also auch weg mit dem Würfel.

Tyme

Ein Zeitdieb Namens Tyme. Na schön, eigentlich ist diese App dafür gedacht, die Zeit festzuhalten, die für verschiedene Projekte verschwindet. Das mag nützlich sein für Leute, die an unterschiedlichen Projekten für mehrere Auftraggeber arbeiten. Denn Zeit ist für manche Geld. Aber nicht für mich. Die Vorstellung, dass man Arbeit zeitlich und damit geldlich vermessen müsse, ist eine fiese Einflüsterung des Zeitgeistes, die gerade für meine Arbeit keinen schlüssigen Sinn ergibt. Zwar arbeite ich an verschiedenen Projekten, muss aber niemandem detaillierte Rechenschaft über den Zeitaufwand ablegen. Ich lebe davon, dass ich Leistungen liefere, nicht davon, dass ich die Zeit festhalte.

So bestand der einzige Zweck dieser App für mich darin, Projekttimer an- und auszuknipsen – wenn ich daran dachte. Und wenn nicht, stresste ich mich selbst, um die Zeit, die einfach so an mir vorbeigelaufen war, im Nachhinein noch einzufangen. Und allein das Denken an das ewige Aus und Ein und Hin und Her verheizte sinnlos Ressourcen des leider unterdimensionierten Prozessors in meinem verwirrten Hirn. Zudem wertete ich die registrierten Zeiten niemals aus. Wozu auch? Irgendwann dämmerte mir, dass ich mich von meinem schlechten Gewissen in ein Korsett von Pflichten hatte zwängen lassen, die in Wirklichkeit Phantome waren. Nicht dass ich so glücklich wäre, dass mir keine Stunde schlüge, aber meine Stunden vergehen auch ganz ohne Stempeluhr. Tyme steht schon seit Wochen still und meine Zeit läuft trotzdem weiter. Deshalb schlägt auch dieser App heute ihre letzte Stunde.

Und nun?

Was nun wirklich seltsam ist: seitdem diese drei Apps im virtuellen Jenseits sind, arbeite ich viel effizienter – ganz ohne ausgeklügeltes Management meiner Zeit, ganz ohne Abrakadabra.

Der er lukket for kommentarer.

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