Gruß aus Heidenau (Teil 2)

DSC_0082Hallo Leute, ich bin einfach ein besserer Mensch als ihr! Ich bin ein richtig toller Gutmensch! Deshalb darf ich Dinge tun, die ich euch nicht zugestehe. Und deshalb ist meine Empörung über den verdeckt operierenden Heidenauer Fotografen natürlich weitaus legitimer als seine Empörung über die Fremden um den deutschen BMW. Als ich den ersten Teil des Heidenauer Grußes schrieb, wurde ich das Gefühl nicht los, dass in meiner Geschichte der Wurm steckt. Aber ich bekam ihn einfach nicht am Wickel.

Stein des Anstoßes war ein Facebook-Beitrag einer Heidenauer Gruppe, die ziemlich unverhohlen ihre Abneigung gegenüber Flüchtlingen kundtut. Eine Gruppe Empörter, die mich empört. Aber ist meine Empörung etwa besser als die der Heidenauer Gruppe? Ist mein Standpunkt als – wie ich mir selber einbilde – weltoffener Anhänger des Pluralismus, dem Wissen wichtiger ist als Glauben, ist mein Standpunkt als “Gutmensch” also wertvoller als der des “Packs”, dem vielleicht die Sorge um begrenzte Ressourcen (Wohnraum, Arbeitsplätze, Geld), um irgendwelche deutschen Werte und um den Fortbestand eines deutschen Volkes umtreibt? Und ist es überhaupt sinnvoll, sich einer dieser beiden Gruppen anzuschließen, von Befürwortern oder Gegnern einer Aufnahme vieler Flüchtlingen aus einem anderen Kulturkreis? Nein, nein und nein. Der Wurm steckt woanders.

Betrachten wir uns noch einmal die Einzelheiten! Da gab es die offizielle Webpräsenz der Stadt Heidenau, die mir nicht so recht gefallen wollte, obwohl man sich doch mit idyllisch anmutenden Bildern bunter Blüten als “freundliche Elbestadt” darstellt, wo ganz besonders die “Familienfreundlichkeit” hervorgehoben wird. Warum sollte ich an den guten Absichten dieser Stadt zweifeln? Sogar Statistiken gab es dort auf der Seite, z.B. über Eheschließungen, aber eben auch über Wahlergebnisse und Wahlbeteiligungen. Sogar eine Pressemitteilung des Bürgermeisters findet man dort, in dem er sich von Fremdenfeindlichkeit in seiner Stadt distanziert. Außerdem gibt es laufend aktualisierte Mitteilungen zu Verstaltungen, vor allem zu den wöchentlichen ökumenischen Friedensgebeten. Es ist doch also alles recht hübsch so, alles im Lot. Worin besteht eigentlich mein Problem mit der Webseite? Warum sehe ich Gespenster?

Dann gab es dieses Foto aus dem Fenster, das ich so darstellte, als zeige es eine Horrorgeschichte über jemanden, der arglose Leute auf der Straße bespitzelt. Aber wenn man genauer hinguckt, sieht doch alles ganz ordentlich aus. Dem Fensterrahmen nach zu schließen wurde das Foto nicht aus irgend einer finsteren Bruchbude aufgenommen, sondern aus einem Haus, um das man sich kümmert. Die Straße, auf der sich die Flüchtlinge befinden, sieht gepflegt aus. Keine Schlaglöcher, alles ordentlich gepflastert und mit Mittelklassewagen beparkt. Auch vermitteln die Häuser im Hintergrund nicht gerade den Eindruck, als befinde man sich in einem heruntergekommenen Stadtviertel. Alles ist also recht hübsch, so wie auf der Webseite der Stadt auch. Wo gibt es hier Gespenster? Fantasiere ich etwa?

Und schließlich der sprachlich etwas unbeholfene Kommentar zum Foto. Dass die meisten Menschen, die sich in sozialen Medien äußern, keine professionelle Schreibe draufhaben, ist ja wohl absolut normal, und es ist doch eigentlich ziemlich vermessen, sich über diesen Zustand lustig zu machen. Und dass im Kommentar Empörung darüber zum Ausdruck gebracht wird, dass sich irgendwelche Leute auf irgendwelche Motorhauben setzen, ist doch auch durchaus nachvollziehbar. Was würde ich wohl dazu sagen, wenn sich jemand Fremdes auf mein Auto setzte? Was soll also meine Unterstellung, hier würde jemand hassen, nur weil andere sich freuen? Wo sollte es hier Gespenster geben? Ich fantasiere bestimmt!

Aber das Gespenstische ist gerade die auffällige Abwesenheit von Gespenstern. Es gibt hier keine Monster und wenn doch, dann laufen sie als dunkle Schatten auf der Straße herum und “lümmeln sich”. Das monströse am Zustand Heidenaus, am Zustand Sachsens und zunehmend auch am Zustand Deutschlands insgesamt ist, dass es Monster – wenn überhaupt – eben nur in Gestalt der Anderen, der Fremden gibt, während man sich selbst als freundliche Normalität darstellt. Die Bedrohung? Das sind nicht wir! Und genau darin liegt die wirkliche Bedrohung: Nämlich in der betont zur Schau gestellten Alltags-Normalität. Normalität beinhaltet immer, dass es auch Leute geben muss, die nicht normgerecht sind, die nicht dazugehören, die man ausschließen darf. Und genau das fängt bereits mit der Webseite der Stadt Heidenau an. Warum diese Selbstdarstellung mit inszenierten bunten Blüten überall? Warum die Betonung auf Familienfreundlichkeit? Warum das Hervorheben der zwar ökumenischen Friedensgebete, die aber hier ausschließlich christlich sind und somit das Judentum und den Islam ausschließen? Hier wird das Ideal einer Gesellschaft konstruiert, die ausschließlich auf traditionellen Werten zu beruhen scheint: Deutsche Kernfamilie und Christentum, Idylle voller Blumen – ein Paradies also, das vor fiesen Schlangen und anderen Eindringlingen geschützt werden muss. Eine exklusive Gesellschaft, in der Menschen, die durch das Raster der so konstruierten Normalität fallen, nicht unbedingt erwünscht sind. Auf einem solchen Nährboden der Normalität gedeihen schwerlich bunte Blumen, am ehesten modrige Pilze, die alles andere zu vergiften drohen.

Nein, ich bin kein besserer Mensch! Aber ich spüre, dass ich, obwohl kein Flüchtling, in Heidenau und seiner postulierten Normalität keinen Platz hätte. Dass es überhaupt zunehmend Gegenden in Deutschland gibt, wo ich mich als Bürger dieses Landes nicht willkommen fühle. Und genau hier steckt der Wurm in der Geschichte.

Der er lukket for kommentarer.

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