Facebook vermittelt viel Erfreuliches, offenbart aber leider auch immer öfter die Schattenseiten des menschlichen Geistes. So landete kürzlich ein Facebook-“Status” bei mir, der von einer Facebook-“Gemeinschaft” stammte, die offensichtlich das Image der sächsischen Stadt Heidenau als Jurassic Park für fremdenfeindliche, nazideutsche Dumpfheit fördern möchte. Heidenau, das ist laut der mit bunten Bildern blühender Landschaften geschmückten offiziellen Website des Orts “die freundliche Elbestadt”, die sich “Familienfreundlichkeit auf die Fahnen geschrieben” hat (wobei man sich unwillkürlich fragt, auf welche Fahnen, und ob Familienfreundlichkeit nun heißen soll, dass man gegenüber allen nicht im heiligen Ehestand befindlichen Menschen ohne Kind und Kegel ruhig auch mal etwas weniger freundlich zur Sache gehen darf). Heidenau – das ist auch die Stadt, in der bei Wahlen, an denen allerhöchstens jeder Zweite teilnimmt, die NPD und die AfD, jede für sich, SPD, Grüne und FDP weit in den Schatten stellt. Und es ist die Stadt, in der neuerdings eifrig friedensgebetet wird, auf dass ein himmlischer Führer die Zügellosigkeit beenden möge.
Und da es offenbar so sein soll, das Image dieser Stadt, nämlich eher pfui als hui, verklappe ich hier den besagten Facebook-Beitrag zur weiteren Betrachtung. An ihm hing noch ein Rattenschwanz übler Kommentare, die ich weglasse, zumal sie ganz und gar nicht den Eindruck einer freundlichen Stadt vermittelten. Inzwischen ist der Beitrag mitsamt Kommentaren übrigens längst wieder von der Facebook-Seite der “Gemeinschaft” verschwunden, zumindest nicht mehr öffentlich zugänglich.
Deshalb gebe ich ihn hier als Screenshot wieder. Er wurde von einem anonymen Mitglied jener “Gemeinschaft” offenbar am 16.9.2015 gepostet. Dem Text ist zu entnehmen, dass das Foto Menschen nicht Heidenauer Herkunft darstelle, die eigenartigerweise als “Fachkräfte” bezeichnet werden, als seien solche in Heidenau sonst eher unüblich. Man erkennt auf dem Foto, wie jemand jemanden vor einem Auto wahrscheinlich westdeutschen Fabrikats mit einem Handy fotografiert. Das kenne ich noch, wie sich Leute aus einem anderen Land gegenseitig vor westdeutschen Wagen fotografierten. 1989 war das wohl. Damals freute man sich. Und heute vor 25 Jahren freute man sich noch mehr. Aber unser Heidenauer Fotograf freut sich nicht! Er sieht im Fotografieren von Leuten vor Autos, die einem selber womöglich nicht gehören, eine Respektlosigkeit “gegenüber fremden Eigentum”. Was er vom versteckten Fotografieren fremder Menschen hält, verrät er uns allerdings nicht. Und mit “fremden Eigentum” meint er in diesem Fall wahrscheinlich eher deutsches Eigentum. Aber wen stören derartige Petitessen schon bei jemandem, dem die präpositionale Rektion im Deutschen bereits Schwierigkeiten bereitet? Überhaupt ist korrektes Deutsch nicht gerade die Kernkompetenz jener Heidenauer “Gemeinschaft”. Aber man kann schließlich nicht alles können! Statt dessen weiß der Heidenauer Fotograf offenbar, was man sich von Hartz IV leisten kann und was nicht. Und das ist ja auch eine Art Qualifikation.
Viel interessanter übrigens als das, was der Fotograf für sein Motiv hält, ist die Komposition des gesamten Fotos: der Fensterrahmen, der das Bild umgibt, das dunkle Zimmer im Vordergrund; die kleinbürgerlichen Wohnhäuser im Hintergrund, die dem Haus ähneln dürften, aus dem das Foto aufgenommen wurde; und schließlich die bis auf die vier mutmaßlichen Nicht-Heidenauer völlig menschenleere Straße am helllichten Tag.
Gute Fotos erzählen immer eine Geschichte. Und in der Komposition dieses Fotos steckt ganz unerwartet auch eine Geschichte. Es ist die Geschichte von einem missgünstigen Heidenauer, der von seinem Fenster aus beobachtet, was sich auf der Straße unter ihm aus seiner Sicht an womöglich Regelwidrigem abspielt und dies empört ablichtet. Selber operiert der Beobachter im Verborgenen und hockt in seinem wahrscheinlich dürftig möblierten, dunklen Kämmerlein. Für Vorhänge vor dem Fenster hat es zwar nicht gereicht, aber immerhin ist der untere Teil des Fensters mit einer Folie zugeklebt, um Einblicke zu verhindern. Von dieser verborgenen Warte aus schießt der Heidenauer also klammheimlich Fotos von auffälligen Subjekten fürs akribische Protokoll. Und dem Heidenauer gefällt die Rolle als Möchtegernspitzel. Jetzt ist er wer! Er erfährt Anerkennung von Gleichgesinnten für seine tolle Tätigkeit! Und das fühlt sich verdammt gut an, wenn man ein armes Schwein ist.
Was mag das wohl für ein Mensch sein, der mitten am Tag, da die meisten vermutlich einer Arbeit nachgehen, im Verborgenen auf der Lauer liegt? Tatsächlich nur ein armes Schwein? Ein besorgter Bürger? Ein ehemaliger “Mitarbeiter”, einst für ein anderes Deutschland tätig, der jetzt im Alleingang für ein anderes, anderes Deutschland spitzelt? Oder doch nur eine ganz gewöhnliche Dumpfbacke? Eigentlich egal. Behielte er doch nur seine geistigen Abfälle für sich!
Denn nicht nur das Foto erzählt eine Geschichte, auch die Tatsache seiner Veröffentlichung auf Facebook tut es. Und diese Geschichte ist einfach nur widerlich: Auf der hellen Straße freuen sich Menschen über die vielleicht endlich erlangte Freiheit und aus dunklem Hinterhalt werden sie gehasst dafür. Von ehemaligen DDR-Bürgern und ihren Kindern, die es eigentlich sehr viel besser wissen müssten. Auch nach 25 Jahren deutsche Einheit.