Rad ab

Rad abWürde ich an die Humorlosigkeit deutscher Bürokraten nicht glauben, hielte ich die neue geschlechtsneutrale Straßenverkehrsordnung, die dieser Tage in Kraft tritt, für einen lustigen Aprilscherz. Aber sie ist ernst gemeint, auch als Kampfansage an den Verfall der Sitten und an die immer renitenten Kampf-Rad-Fahrenden, die allen anderen Am-Verkehr-Teilnehmenden den Spaß verderben. Wer glaubt, dass höhere Bußgelder und veränderte Regeln Ordnung ins Chaos einer fehlgeschlagenen Verkehrspolitik bringen, möge selig werden. Wer glaubt, dass Regeln akzeptable physische Rahmenbedingungen ersetzen können, ist scheinheilig. Akzeptable physische Rahmenbedingungen heißt Platz für alle Arten von Am-Verkehr-Teilnehmenden: Autos für sich, Rad-Fahrende für sich, Zu-Fuß-Gehende für sich. Nicht irgend ein Zusammenwürfeln schlechter Lösungen, die sich ausschließlich an der Bequemlichkeit der Auto-Fahrenden orientieren und alle anderen Fortbewegungsarten als hoffnungslos zurückgeblieben behandeln. Denn richtige Am-Verkehr-Teilnehmende sind schließlich motorisiert und rollen auf vier Rädern, da sind langsam daher strampelnde SpinnerInnen nur im Weg.

Dennoch: Gäbe man Rad-Fahrende anständige Bedingungen, müssten sie vielleicht gar nicht um ihr Da-Sein-Dürfen kämpfen, würden Ereignisse, wie das Folgende, das mir im vergangen Herbst in Flensburg widerfuhr, gar nicht erst entstehen: “Wollen Sie meine Freundin anmachen? Sie sehen doch, dass sie am Einparken ist!” So ein aufgebracht aus einem Kleinwagen springender Beifahrer, dem meine Ungeduld darüber missfiel, dass ich dem Auto, in dem er saß, mit meinem Fahrrad zu nahe kam. Warum? Die Freundin schickte sich soeben an, ausgerechnet den Radweg, den ich als Radfahrer offenbar irrtümlich für eine mir zustehende Infrastruktureinrichtung gehalten hatte, als bequemen Parkplatz für ihr Auto zu beanspruchen, was mir einen Umweg über holpriges Kopfsteinpflaster durchzogen von rostigen Bahngleisen bescherte. Bei späterer Gelegenheit wurde mir von einem Ortskundigen rechthaberisch auseinandergesetzt, dass man doch nun wirklich nicht so naiv sein könne zu glauben, dass dieser Radweg nur Radfahrern vorbehalten sei! Nein, an dieser Stelle sei es völlig in Ordnung, sein Auto abzustellen, selbst die Polizei würde dabei sämtliche Augen zudrücken, denn auch ihr sei der katastrophale Mangel an Parkplätzen in dieser Stadt durchaus bekannt. Ein Mangel übrigens, von dem ich in meiner Parallelwelt als Prenzlberg-erprobter Autofahrer hier in dieser norddeutschen Provinzstadt allerdings noch nichts mitbekommen hatte. Wahrscheinlich ist der gefühlte Mangel eher ein Zeichen provinzieller Bequemlichkeit, nach der zu Fuß zu bewältigende Strecken von mehr als hundert Metern dem Ausdauersport zuzurechnen und dem Normalbürger daher unzumutbar sind. Außerdem, so wurde ich weiter belehrt, gebe es ja einen weiteren Radweg auf der anderen, linken, Straßenseite, den man als Radfahrer wohl ebenso gut nutzen könne. Wegen der vielen Ausfahrten dort eignet er sich nämlich nicht so gut als Parkplatz.

Die Heimfahrt auf dem Rad an diesem Abend hatte sich ohnehin schon als Horrortrip für Hartgesottene erwiesen. Die erste Verwirrung entstand an einer Radweggabelung, an der nicht zu erkennen war, welche der beiden Möglichkeiten, wenn nicht gar beide, Richtung Innenstadt führten. Wahrscheinlich beide. Allerdings erwies sich die Wahl der topografisch als wahrscheinlicher erscheinenden, weil unmittelbar in die gewünschte Richtung führenden Verzweigung alsbald als falsch, denn dieser Zweig verwandelte sich zu einem stockfinsteren Kiesweg fernab der Straße und der sie säumenden Beleuchtung. Als der Weg sich nach etwa anderthalb Kilometern endlich wieder der Straße näherte, um zu dieser nunmehr parallel, wenngleich auf der Seite des Gegenverkehrs zu verlaufen, endete die Straßenbeleuchtung. Dafür gab es jetzt immer wieder mal einen entgegenkommenden Autofahrer, der hilfsbereit und rücksichtsvoll die Dunkelheit mit voll aufgeblendeten Scheinwerfern vertrieb. So verging ein weiterer langer Kilometer wie in der Geisterbahn. Natürlich war der für Radfahrer vorgesehene Weg hier außerdem einer dieser irrsinnigen und typisch deutschen Kombiwege, auf denen Radfahrer und Fußgänger sich offenbar als Teil des zugrundeliegenden Verkehrskonzepts gegenseitig ins Gehege kommen sollen. Wer hat sich das nur ausgedacht, dass Fußgänger und Radfahrer sich eine Art Bürgersteig teilen müssen, mit holprigen Betonfließen belegt und viel zu hohen Kantsteinen an Straßenquerungen?

Rund um die Flensburger Hafenspitze z.B. verläuft eine Art Radweg. Dort ist sogar ein Schild aufgestellt, das dem Radwanderer Fernziele in Aussicht stellt. Nur bemerkt keiner den Radweg, der sich von seiner Umgebung nur durch die abweichende Farbe seiner Betonfließen abheben soll, welche aber von den meisten Passanten, sofern er überhaupt bemerkt wird, eher für eine Art schicke Deko gehalten werden dürfte. Kein Fußgänger hat eine Chance, den Sinn der Farbfließen zu eruieren und sieht sich folglich völlig im Recht, Radfahrer ob ihres rüpelhaften Verhaltens auf der Promenade zur Ordnung zu rufen.

In Flensburg sind Radwege ein Wirrwarr von Streckenabschnitten, die nicht zusammenhängen, die von Straßenseite zu Straßenseite springen, bei denen es unklar ist, ob sie nur für den Radverkehr in eine Richtung oder in beiden gedacht sind. Bei denen jegliche Hinweise fehlen, um einen eventuellen Zusammenhang kenntlich zu machen. In Flensburg sind Radwege nicht für Radfahrer da, sondern für Autofahrer. Seht her, was wir alles für euch halbe Menschen tun! Die ganze Stadt voller schöner Radwege, auf denen ihr euch austoben könnt. Freut euch, seid still und haltet euch von unseren Straße fern!

Einen Kilometer nördlich von meinem Wohnsitz beginnt Dänemark. Und es beginnt ein funktionierendes Radwegenetz. In Deutschland kann man davon sehr viel lernen. Von anderen, die es offensichtlich besser können, lernen wollen und das Gelernte bei sich selber zu verwirklichen wollen – das wäre einmal ein verkehrspolitisches Signal. Kostet allerdings mehr Geld und Mühen als eine alberne neue Straßenverkehrsordnung.

Der er lukket for kommentarer.

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