Es geht voran

Autofahren in Dänemark unterliegt der ungeschriebenen Regel, geschriebene Regeln nicht besonders ernst zu nehmen.

Nichtdänen, die Dänemark mit dem Auto bereisen müssen, werden irgendwann auch mal auf irgendeine Autobahn geraten, welches zunächst einmal wegen diverser Geschwindigkeitsbeschränkungen für manchen durchaus gewöhnungsbedürftig ist. Eigentlich nicht die Geschwindigkeitsbeschränkungen an sich, sondern eher die Tatsache, dass sich viele Autofahrer demonstrativ über Tempolimits hinwegsetzen, während andere wiederum versuchen, die zu schnellen Fahrer genüsslich zu drangsalieren, indem sie ihrerseits immer wieder gern einmal einen LKW betont langsam überholen. Der ganz alltägliche Kleinkrieg auf dänischen Autobahnen.

Im Prinzip gilt Tempo 130 auf Autobahnen, oft aber sogar weniger, typisch 110, wobei man sich fragen mag, wieso nicht 100 oder 120? Ursprünglich, das heißt nach Einführung allgemeiner Tempolimits auf dänischen Straßen im Jahre 1974 als Folge der Ölkrise, waren es mal 100. Da das Recht des Wählers auf ungebremsten Geschwindigkeitsrausch auf den von seinen Steuergeldern finanzierten Autobahnen aber seither von bürgerlichen Parteien immer wieder zum Politikum gemacht wurde, setzte im Jahre 1992 eine Mehrheit im Parlament eine zehnprozentige Anhebung als politischen Kompromiss durch. Mehr war damals für die konservativ-liberale Minderheitsregierung nicht drin. Erst viele Jahre später, nämlich im Jahre 2002, nutzte die frisch gewählte, nunmehr liberal-konservative Regierung ihre durch die rechtspopulistische dänische Volkspartei getragene parlamentarische Mehrheit, um ihrem heiß ersehnten Wunsch der freieren Fahrt für die nunmehr vom sozialdemokratischen Joch befreiten Bürger Taten folgen zu lassen.

Aber dann gab es doch wieder Umleitungen. So wurden von Seiten einiger Experten erhebliche Verkehrssicherheitsbedenken geäußert — von ökologischen Bedenken ganz zu schweigen oder gar dem Bedenken, es handele sich bei diesem verkehrspolitischen Vorhaben um schieren Populismus. Denn die meisten Autobahnen waren in Zeiten gebaut worden, als Geschwindigkeitsbeschränkungen von 100 oder 110 galten, und sie waren folglich auch für diese Geschwindigkeiten ausgelegt, was beim Bau natürlich auch günstiger gekommen war. So hatte man die dänischen Autobahnen wesentlich kurvenreicher und schmäler anlegen können, als wenn sie für höhere Geschwindigkeiten konzipiert gewesen wären. Außerdem ließen sich Standstreifen oft einsparen, Schilder ließen sich kleinformatiger und Einmündungen einer Autobahn in eine andere abenteuerlicher gestalten. Irgendwie war all dies nun im Eifer des Wahlkampfes nicht recht bedacht worden, die in Aussicht gestellte Erhöhung des Tempolimits schien mit einem Mal gefährdet. Also denunzierte man kurzerhand die Verkehrsexperten als ideologisch voreingenommen, förderte die eigenen Bauunternehmen, indem man die Autobahnen vor der Tempoerhöhung über weite Strecken schnell noch mit ein paar Schutzplanken ausstatten ließ, und führte schließlich das obligatorische Blinken beim Spurwechsel ein. Dann ließ man noch politisch verlauten, dass die Autobahnen im ungemochten Deutschland mit den vielen schnellen Autos schlechter seien als die guten dänischen. Am 30. April 2004 war es dann endlich soweit!

Schneller voran geht es aber seitdem kaum. Dafür sorgt allein schon der ganz alltägliche Kleinkrieg unter den Verkehrsteilnehmern. Denn Regeln brechen wird in Dänemark gern für einen Beweis persönlicher Selbständigkeit gehalten. Und das nicht nur im Alltäglichen. Auch im Geflecht internationaler Beziehungen wird gern politisch getrotzt: Dagegensein zeugt, so scheinen einfallslose Politiker zu glauben, von starker nationaler Souveränität. Primitiver Populismus? Leider viel schlimmer: Dilettantismus.

Der er lukket for kommentarer.

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