Patriotismus

Schleswig-Holstein. Bundespolitisch eher ein Zwerg, obgleich von aufgeblasener Statur. Klimatisch eine windige Grauzone. Kulturell diffus im Nebel. Wer kann, der flieht in den Süden. Gerade deshalb ist das Land der Horizonte, sie mögen eng oder weit sein, vielleicht gar nicht mal unattraktiv. Hier könnte man sich vor den Schrecknissen und Gefahren der Welt verkriechen. Vielleicht sollte man sich diesen Landstrich als den allerletzten Zufluchtsort auserwählen, nahe der Grenze, irgendwo im Niemandsland. Aber das tun wohl eher wenige. Nicht geflohen ist der Fraktionsvorsitzende der Grünen im schleswig-holsteinischen Landtag, Robert Habeck, der hier in dieser Gegend laut Wikipedia als freier Schriftsteller lebt. Geschrieben hat er einiges, gelesen davon habe ich nur “Patriotismus. Ein linkes Plädoyer” – das mir in einer Flensburger Buchhandlung wegen seines Titelbildes auffiel. Es zeigt einen Zweidrittelmann in grauer, platter Landschaft, mit dem ich mich sogleich identifizieren konnte. Nach einigem Zögern lud ich es als eines meiner ersten Elektrobücher in meine iWelt. Das Buch ist sein Geld wert, denn es ist so lang, das man sich fragt, warum es nicht kürzer ist.

Es besteht aus sehr vielen Kapitelchen, die jedes für sich ein politisches Statement abgeben, als seien sie gedruckte Blog-Beiträge, wie sie von einem Landespolitiker stammen könnten. Skizzen unter fetzigen Überschriften wie “Aldi und Verdi”, “Antikapitalismus ist nicht links, sondern dumm” oder “Leitkultur ist Streitkultur”. Ein Kapitel “Kraut und Rüben” fehlt zwar, hätte aber fein zum Titelbild und zum Gesamtkonzept gepasst. Die Skizzen gruppieren sich zu drei übergeordneten Teilen: “Ein linker Patriotismus”, “Sanfter Zwang zur Freiheit” und “Nach den Nullern” überschrieben. Oder um es einmal in Fragen umzuformulieren: Worüber reden wir heute mal? Wie setzen wir das, worüber wir gerade geredet haben, in die Tat um, und reden noch ein bisschen mehr? Schließlich: Wo waren wir gerade stehengeblieben? Im ersten Teil wird lange geredet und der kurze Sinn schlägt sich am ehesten in der Kapitelüberschrift “Nicht Volk, Fans” nieder. So weise macht nur eine Fußball-WM.

Man hätte es bei dieser Erkenntnis belassen und gleich zu den Taten im zweiten Akt schreiten können, aber nein, wir haben vorher etliche sprachliche Abenteuer zu bestehen wie “Mit einem solchen [symbolbegründeten, also Fahne, Deutschsprachigkeit und Sauerkraut] Patriotismus kann man nichts anfangen. Solch ein Patriotismus ist eine Prophezeiung, die vorgibt sich selbst deuten zu können, die jedoch ohne Adjektive und Attribute völlig hilflos ist.” Aha. Was übrigens Adjektive betrifft, so ist eines von Habecks Lieblingseigenschaftswörtern “falsch”. Vierundvierzig mal braucht er es, um so dem Patriotismus auf die Schliche zu kommen, “richtig” schafft es auf dreiunddreißig und verfehlt somit eindeutig die absolute Mehrheit.

So erklärt uns Habeck, was richtig und vor allem falsch ist in der großen Welt jenseits der Horizonte, bleibt uns aber meist das Warum schuldig. Leider. Denn im Grunde möchte man durchaus einig sein mit seinen Ansichten. Aber so nicht, denn begründet hätte man sie schon.

Im Übrigen sind viele von Habecks Gesellschafts-Ideen bereits 1978 in Niels I. Meyer, K. Helveg Petersen und Villy Sørensens “Oprør fra midten” (dt. “Aufruhr der Mitte”) vorweggenommen, einem Buch zur politischen Debatte, in dem eine humane Gesellschaft als Alternative zu den damals vorherrschenden Ideologien des Kalten Krieges entworfen wird. Eine Gesellschaft, die sich durch demokratische Mitverantwortung, solidarische Arbeitsteilung, ökonomische Gleichheit und ökologisches Gleichgewicht auszeichnet. Im Vergleich zur “Aufruhr” ist Habecks “Patriotismus” leider nur ein Gartenzwerg, aber ein deutscher, immerhin.

Der er lukket for kommentarer.

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